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01.02.2011, 13:56 Uhr
okbonn
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"Ich schau dir in die Augen, Eumel" - Persönlicher Reisebericht einer denkwürdigen TNS-Tour -
Zum Abschluss einer wieder mal perfekten TNS-Tour saßen wir in der Bar des Jolie Ville Hotels auf Kings Island in Luxor. Wir hatten sechs tolle Tage mit Wahnsinns-Programm und Marathon hinter uns, unbeschwert und harmonisch, mit ein paar dramatischen Einlagen, die sicherlich jemand anderes einmal posten kann.
Aus dem Fernsehen hatten wir in den letzten Tagen von den immer weiter steigenden Unruhen in Kairo gehört, die jedoch zunächst nicht zu uns durchdrangen. Als im Laufe der Woche jedoch das Internet und zeitweise auch das Handy gekappt wurde ahnten wir, dass diese Unruhen doch wohl nicht so weit von uns weg lagen, als wir es gerne gehabt hätten. Als wir am letzten Tag auf der Felukkenfahrt die Militärfahrzeuge vor der Bank stehen sahen und beim Aussteigen sogar die ersten Schüsse vernahmen wussten wir, dass es nun doch ernst werden würde. Ausgangssperre von 18 bis 6 Uhr war angesagt - das gemeinsame Abendessen musste nun also auf unserer Hotelinsel stattfinden - eben in besagter Hotelbar.
Als wir nun dort gemütlich saßen und die Woche an unserem Auge vorbeiziehen ließen, spielte der Pianist zunächst ganz leise und unauffällig "As Time Goes Bye" aus "Casablanca". War es etwa Absicht oder war dies einfach nur das unbedachte Spiel eines Standardliedes seines Repertoires?
Wir jedoch fingen an zu grübeln - Casablanca war im 2. Weltkrieg Französisch, jedoch unter deutscher Besatzung. Ausnahmezustand mit nächtlicher Ausgangssperre - hatten wir dies nicht auch gerade?
Schon wieder ein Schuss - im Film war's nicht anders. Gänsehaut stellte sich ein. Im Film ging es um den verzweifelten Kampf um begehrte Flugtickets, um der Katastrophe des Krieges in letzter Minute noch entkommen zu können. Ist Ägypten nicht auch auf dem Weg zu einem Bürgerkrieg, und hatten *wir" denn schon unserer Tickets?
Auch wir mussten raus, in diesem Jahr erstmalig mit EgyptAir über Kairo - *dem* globalen Krisenherd - und wir morgen schon mittendrin. Was uns da bevorstand konnten wir nicht erahnen.
Rick hatte zwei Tickets bekommen können - keiner weiß wie - aber wir waren 28...
Nachts um 3:30 schrillte der Wecker - draußen war's gottseidank wieder ruhig. Hatten wir nicht Ausgangssperre bis 6 Uhr? Wie sollen wir denn da zum Flughafen kommen, unser Flieger ging doch schon um 7 Uhr? Adel hat - wie immer - einen Weg gefunden: wir fuhren mit 2 Kleinbussen ohne Beleuchtung, was nix besonderes ist, denn die Ägypter machen dies Innerorts immer so. Was jedoch besonders war war die Fahrtroute, die im Zickzack durch Hintergässchen führte. Anscheinend waren dort keine Polizeikontrollen. Die Ägypter kennen doch ihre Stadt. Mulmig wurd's uns.
Das an dem Tag nur 3 Maschinen starten sollten, erfuhren wir dann hautnah, denn wir verbrachten den ganzen Tag in der Abflugshalle mit hunderten anderer Fluggästen, die mit uns ein übers andere mal den Schriftzug "cancelled" aufleuchten sahen. Es wurde Mittag, es wurde Abend und nichts tat sich - Generalstreik in Kairo war wohl die Ursache. Wie sollten wir denn so nach Hause kommen?
Aber wir hatten ja Rick, sprich Dirk. In einer Nacht- und Nebelaktion kam er mit der Geheiminfo, dass in einer halben Stunde der einzige Flieger nach Kairo gehen solle und - siehe da - er zog auch gleich 28 Tickets aus der Tasche - frag bloß keiner, wie er da ran gekommen ist. Deja vu.
Also auf der Tross nach Kairo - keinem war wohl bei der Sache, aber aus Luxor werden wir *nie* nach Deutschland kommen, Internationale Flüge gab es nur noch vom Drehkreuz Kairo aus. Dort kamen wir also um 21 Uhr an und: alle Schalter geschlossen, alle Flüge gecancelled - das haben wir uns anders vorgestellt.
Was also tun? Raus in ein Hotel war zu gefährlich, Plünderungen und Schießereien fanden statt - war es in Casablanca damals nicht genauso? Wir blieben also gemeinsam im sicheren Transferbereich des Flughafens und bereiteten uns ein Nachtquartier vor - noch nie habe ich wie ein Penner auf einer Pappschachtel geschlafen. Dafür weiß ich nun, dass sie wirklich sehr viel wärmer ist als der glatte Boden - toll. Die meisten haben kein Auge zugemacht, ich soll wohl 2 Stunden geschnarcht haben, also muss ich wohl etwas geschlafen haben.
Der nächste Morgen kam - doch wie ging's nun weiter? Keiner wusste es so genau. Aber wir hatten ja Rick: Er, früh raus, wartete auf die ersten Angestellten am EgyptAir Schalter. Einen losgequatscht, damit er uns die Tickets ausstellt - nach 3 geschlagenen Stunden die Erfolgsmeldung, die ersten Maschinen Richtung Deutschland müssten jedoch mittlerweile längst in der Luft sein - uns lief die Zeit weg. Aus der zugeschnürten Kehle unseres Machers vernahmen wir, dass er immerhin ein Dutzend Tickets erkämpfen konnte: nach London, Wien und Barcelona. Und das in der Eingangshalle inmitten eines Rudels Hunderter von Arabern, die lautstark auf den armen EgyptAir Mitarbeiter einschrien - der blanke Horror. Es gab offensichtlich nur eine Chance: jedes beliebige Europäische Ziel akzeptieren, egal wohin, Hauptsache aus Cairo raus.
Dann das Kleingedruckte: die Namen der Reisenden waren zufällig ausgewählt, gar Ehepaare wurden getrennt - ich sollten nach Barcelona und meine Frau Ulla sollte nach London. Und für Dirk das schlimmste: er selbst war unter den Auserwählten! Er konnte doch sein Team nicht verlassen - Schock für Alle, am meisten jedoch für Dirk.
Doch was nun passierte war für mich die wichtigste Erfahrung an der ganzen Reise: das Team wurde wach, hat Stärken entdeckt, die bisher niemand geahnt hatte. Bisher war es ja so einfach gewesen: getreu dem Skater Motto einfach Dirk hinterher. Das ging jedoch jetzt nicht mehr. In diesem Tempo würden wir weitere 2 Nächte in diesem Dreck hausen müssen, ohne die Garantie, dass wir dann auch raus wären. Andere Lösungen mussten gefunden werden.
Also machte jeder sich auf die Suche nach Auswegen aus diesem Chaos. Und dabei zeigten die Einzelnen, was in Ihnen steckt. Ich zähle mal ein paar auf, die mir selbst besonders aufgefallen sind:
- Wiebke hat sich um die Verpflegung gekümmert und es fertig gebracht, jeweils 28 Essen zu organisieren, die man normalerweise nur Einzeln bekommt wenn man seine Bordkarte vorzeigt, die dann abgezeichnet wurde. Und auch Bordkarten waren wir noch meilenweit entfernt. Wir wussten ja noch nicht einmal, wohin uns der Weg führen sollte.
- Telefoniert wurde wie wild: Kerstin hat eine Bundestagsabgeordnete kontaktiert, Christian Kontakt zur Botschaft in Casaiso aufgenommen, um das Auswärtige Amt auf die Situation aufmerksam zu machen - für mich sollte deren Hilfe zu guter Letzt der rettende Strohhalm werden.
- Ralf hat Kontakt zu den Botschaftsangestellten aufgebaut und unsere Namensliste ins Spiel gebracht, die für die auf die angekündigten Sondermaschinen verteilt werden sollten. Leider war die einzige Maschine auch ohne uns schon voll.
- Ruth hat sich aufgemacht, die Schalter der Fluggesellschaften abzuklappern, um weitere Flugplätze zu ergattern - am Schluss konnte Sie den Rest der Ticketlosen unterbringen - Toll!
- Am meisten bewundert habe ich jedoch die Hartnäckigkeit und Ausdauer von Heike, die sich mehrere Stunden mitten ins Chaos des Abfertigungsschalters stürzte und dort aushielt, bis sie für das letzte Ticket auch Bordkarten erhalten hat. Die Frau muss Nerven haben - ich selbst musste schon nach einer Minute in der Nähe der Menschentraube völlig aufgezehrt wieder weggelaufen. Gigantisch - nein, dafür gibt es in der Deutschgen Sprache kein Wort mehr!
- Und alle anderen, die mit kleinen oder großen Taten die genannten unterstützten und zum Gelingen unserer Odyssee beitrugen. Ich selbst bin unheimlich stolz auf unseren Teamgeist! Euch allen, Dirk voran, gilt : Danke für Alles!!!
Zuguterletzt hat sich dann für alle ein Happy End eingestellt: Im Laufe des Montags haben wir all unsere Leute rausbekommen, auf mindestens 6 Flieger in unterschiedliche Europäische Ziele verteilt, von denen sie dann weiter nach Deutschland fliegen konnten. Ich selbst war wohl der Letzte, denn ich bin eine halbe Stunde vor Mitternacht mit einer Herkules Militärmaschine der Österreichischen Militärkonsulats via Athen Richtung Wien ausgeflogen worden - 8 Stunden Flugzeit bei 120 Dezibel, aber mit Ohrenstöpsel! Bis zu Hause waren's dann geschlagene 54 Stunden.
War nicht das Ende von Casablanca auch ein Happy End und "der Beginn einer wundervollen Freundschaft"?
----- Ottmar Krämer-Fuhrmann, Bonn |